Wenn man bei Google nach den besten Läufer:innen der Welt sucht, wird man sehr schnell an erster Stelle auf die Tarahumara aufmerksam, sie sind eine indigene Community, die im Norden Mexikos lebt. Die Tarahumara machen uns das Laufen von langen Strecken vor. Denn der Großteil ihres Lebens findet in der Höhe statt, wo sie wohnen und vor allem -laufen. Dadurch sind sie schon von Grund auf an wenig Sauerstoff gewöhnt. Hinzu kommt, dass sie durch ihre nomadische Lebensweise von Natur aus große Strecken zurücklegen. Doch führt nicht allein die Tatsache, dass sie nicht sehr lange an einem Platz verweilen dazu, dass sie so grandiose Läufer:innen sind, sondern auch ihr abgeschiedenes Leben.
Als wäre diese für uns unvorstellbare Distanz nicht schon beeindruckend genug, laufen sie diese auch noch in Sandalen! Darüber hinaus heißt es sogar, es bestünde ein Rekord von 700 Kilometern binnen 48 Stunden. Als 1994 ein „Raramuri“ an einem Ultramarathon durch die Rocky Mountains teilnahm, konnte dieser sich mit handgefertigten Sandalen als Sieger gegen eine große Konkurrenz behaupten. Es ist also möglich: man kann in minimalistischen Sandalen eine so gewaltige Strecke laufend zurücklegen. Mir selbst, stellen sich dazu auf jeden Fall sofort einige Fragen...
1. Wie ist so etwas grundsätzlich möglich? 2. Was passiert mit den Muskeln, Bändern und den Füßen? 3. Das alles in Sandalen, bekommt man da nicht Fußschmerzen? 4. Welcher Laufstil ist für so eine Strecke der Beste?
Ich starte den Versuch, euch jede Frage genauer zu beantworten:
1.) Wie so etwas möglich ist, lässt sich von verschiedenen Faktoren herleiten. Gerade die Tarahumara leben in der Höhe, wo der Sauerstoffgehalt der Luft viel niedriger ist, als in niedrigeren Lagen. Das heißt, sie werden schon in ihrer Kindheit an die dünne Luft gewöhnt, der Körper kann sich so über viele Jahre ausgezeichnet an seine Umgebung anpassen. Viele Tarahumara bauen auf diese Weise eine gewaltige Kondition auf. Hinzu kommt, dass die Tarahumara sehr häufig aufgrund des rauen Lebensumfeldes zum Weiterziehen gezwungen werden. Spätestens wenn die Grundnahrungsmittel und das Wasser knapp werden und das Klima sich ungünstig verändert, ist der Zeitpunkt gekommen, sich auf die Suche nach einer neuen geeigneten Stätte zum Leben zu machen. So legen sie meist riesige Strecken zurück und sind bestens trainiert.
Einst waren die Tarahumara so groß wie die Azteken, bis sie von den spanischen Conquistadores vertrieben und getötet wurden. Bei "Raramuri" handelt es sich um eine Selbstbezeichnung von ihnen und bedeutet übersetzt: "jene, die lang laufen“. Seit jeher sind sie Langstreckenläufer, wobei 42 Kilometer für sie oft nur eine halbe Distanz ist. Sie rennen in den Canyons der nordwestlichen "Sierra Madre“: zerklüftetes Land, viermal so groß wie der Grand Canyon der USA - mal staubtrockenes, mal von Wasserfällen verziertes, üppig grünes Land. Ihre Laufkunst und Ausdauer gilt zu Recht als legendär. Für die Männer der Tarahumara gehörte es zur Jagd, die Beute "per pedes" die Berge hinauf zu hetzen, bis die Tiere erschöpft zusammenbrachen. Irgendwann fingen die Dörfer an, untereinander eigene Wettbewerbe auszurichten - völlig unbemerkt vom Rest der Welt. Dabei trug der ein oder andere schon mal zusätzlich ein paar Kilo Reis mit sich, für den Vorrat daheim, damit sich die Reise auch lohnt.
2.) Gerade die „Raramuri", wie sie sich nennen, haben über Jahre nicht nur eine gute Kondition aufgebaut, sondern sind auch muskulär allerbestens trainiert: die Reserven sind viel viel besser, der Ruhepuls extrem niedrig, die Muskeln an wenig Sauerstoff gewöhnt, der Energiebedarf optimiert und Bänder über die Jahre gestärkt und an die hohe Belastung angepasst. Die Energie für Langstreckenläufe unterwegs gibt es meist von einem speziellen Getränk namens ‚Iskiate‘, welches in unseren Breitengraden auch unter dem Namen Chia Fresca bekannt ist: ein Getränk, das hauptsächlich aus Chiasamen besteht. Die beiden wesentlichen Vorteile von Iskiate sind seine Eigenschaften als Wasserspeicher sowie als Energielieferant. Durch die Bildung des immensen Gelkörpers um das Samenkorn herum, kann eine große Menge Wasser von den Samenkörnern gespeichert und nach dem Verzehr wieder langsam an den Körper abgegeben werden. Der diesem Getränk beigesetzte Zucker aus Honig oder Agavendicksaft bietet darüber hinaus schnell verfügbare Energiereserven oder -Lieferanten. (Hier ein gutes Rezept)
3.) Nein, natürlich nicht! Ja - die legendären Sandalen, einfach klasse. Fragt man die Tarahumara, sagen sie einfach nur, dass andere Schuhe viel zu unbequem seien, dass man mit Sandalen nicht anstoßen würde und vor allem bei langen Distanzen keine Blasen erhielte. In Sandalen haben die Füße Luft und man verletzt sich die Zehen nicht, zudem haben die Füße so eine optimale Bewegungsfreiheit und werden in keinster Weise gestört. Vor Jahrhunderten wurden die Füße nur mit rohem Leder, welches um den Fuß gebunden wurde, geschützt. Inzwischen werden die Sandalen aus alten Gummiresten oder Autoreifen hergestellt. Die Schnürmethoden nach der Huarache Art sind legendär, denn sie haben eine Methode gefunden, wie ein Stück Leder oder Gummi optimal am Fuß haften bleibt, ohne besonders viel zu verrutschen. Zu den besonderen Schnürtechniken, auch der Ur-Huarache Schnürtechnik findet ihr hier viel mehr Informationen.
4.) Sicher ein guter Vorder - oder Mittelfuß-Laufstil. Legendär ist auch der leichte Lauf. Die Kunst der Tarahumara ist der runde schnelle Lauf mit kleinen leichten Füßen und kürzeren Schritten. Wie machen die das!? Klar ist, die Tarahumara sind Vorfuß- beziehungsweise Mittelfuß-Läufer:innen. Bei dieser Lauftechnik kommt jeder Schritt optimal bei unserer natürlichen Fußdämpfung, dem Gewölbe, an. Das ist zwar muskulär anspruchsvoller, da die Waden- und Beinmuskeln ganz anders belastet werden, aber am Ende eben viel effizienter - vor allem für Knochen, Sehnen und Bänder. Zudem ist der gesamte Fußauftritt wesentlich kürzer und der Abstoß vom Boden kurz und kräftig. Wie eine leichte Feder im Wind, laufen sie konstant dahin...
Man wird sicherlich keine:n einzige:n dieser großartigen Läufer:innen über die Ferse rennen sehen: das wäre viel zu anstrengend und sehr ineffizient. Darüber hinaus würde es Knochen und Bänder immens belasten, sodass eine Strecke über 170km damit sicherlich nicht möglich wäre. Übrigens: die Tarahumara kennen keine Laufverletzungen. Wie das nur möglich ist? Dieser Frage haben schon zahlreiche Forscher:innen versucht auf den Grund zu gehen...